Die Kunst Halle Sankt Gallen präsentiert die erste Einzelausstellung von Loris Gréaud (*1979, lebt in Paris) in der Schweiz. In seiner Kunst treffen Extreme und Fetische aufeinander, wie das Literarische und das Technoide, das Geometrische und das Expressive. Gréaud ist durch seine oft installativen und poetischen Arbeiten bekannt geworden, die sich bildsprachlich auf die Endlichkeit der Möglichkeiten und die Grenzen der Realität beziehen. Immer wieder tauchen im Œuvre des Künstlers bestimmte Materialien wie Neonröhren oder grafisch gemusterte Boden- und Wandbeläge auf, die jedoch konzeptuell re-interpretiert werden. Ebenso setzt er ungewöhnliche Mittel wie Düfte ein, um eine Erfahrung zu extrahieren bzw. Bilder einer Erfahrung zu evozieren. Selbst für seine Film- und Soundarbeiten findet er eine spannungsreiche, multimediale Übersetzung mit architektonischen Versatzstücken.
Gréauds Ausstellungen sind gleichzeitig spektakulär und atmosphärisch subtil verdichtet. Der Besucher folgt dabei der vom Künstler ausgerichteten Dramaturgie und erfährt unterschiedliche emotional-narrativ aufgeladene Räume. Mit der Ausstellung «Cellar Door – Never Shies Away from Adopting Bootleg Versions of itself into its Family» in der Kunst Halle wird das Publikum mit einem neuen Projekt von Gréaud konfrontiert, welches sowohl einen Einblick in die aktuellste Produktion des Künstlers bietet, als auch die Rolle von Medien, Kunstkritik und Institutionen bezüglich der Laufbahn einer künstlerischen Karriere thematisiert. In der Tat bevorzugt der Künstler, dass ein Kommentar über eines seiner Werke dieses bereichert und so zum Bestandteil des Werkes wird.
Das Projekt von Gréaud verteilt sich in der Kunst Halle über alle Räume und bezieht sich thematisch auf die Kunstkritik und das Medienecho, das seine Einzelpräsentation «Cellar Door» im Palais de Tokyo (14. Februar – 27. April 2008, Paris) und im Institute of Contemporary Art (25. April – 22. Juni 2008, London) auslöste. «Cellar Door» wurde von Gréaud als eine gigantisch-phantastische Produktionsstätte konzipiert, die seiner Vorstellung eines idealen Ateliers entspricht und zur Zeit auch in einem Pariser Vorort gebaut wird. Die Rezeption erfolgte in Form einer regelrechten Presselawine mit einer teilweise primitiv-plakativen Berichterstattung in Boulevardmagazinen bis hin zu seriösen Tageszeitungen. In St. Gallen findet eine Fortsetzung seines «Cellar Door» Ausstellungszyklus statt, der als ein systemkritischer Beitrag über die Popularisierung der zeitgenössischen Kunst und dem damit verbundenen Starkult des Künstlers betrachtet werden kann.
Im ersten Raum ‚rüttelt’ Gréaud nicht nur metaphorisch an der Statik der Kunst Halle: Die Wände und Säulen sind mit einem elektronischen Vibra-tionssystem ausgestattet, so dass die gesamte (Bau-)Struktur der Institution in mess- und fühlbare Schwingungen versetzt wird. Die Stärke der Schwingungen wird durch ein Elektroenzephalogramm des Künstlers bestimmt, welches bei der Messung seiner Gehirnströme beim Nachdenken über das Projekt «Cellar Door» entstand. Seine Gedanken wurden materialisiert und werden nun im Raum physisch spürbar gemacht. Hier wird der Künstler in seiner Rolle als Impulsgeber dargestellt, der die Kunst Halle als Stellvertreter für das Kunstsystem, zum Einsturz bringen könnte.
Hoch oben an der Wand links neben dem Eingang ist ein Spiegel angebracht, wie auch in den weiteren Räumen. Der erste Eindruck, dass es sich um einen Spiegel handelt, ist eine beabsichtigte Täuschung. Bei näherer Betrachtung und günstigen Lichtverhältnissen lassen sich hinter der verspiegelten Oberfläche Linien entdecken, welche in ihrer Summe die Baupläne Gréauds Atelier ergeben, das zurzeit in einem Vorort von Paris gebaut wird. Auch die anderen Ausstellungsräume sind mit einem solchen Spiegelbild versehen, welche gleichzeitig ein Netzwerk in der Ausstellung bilden und die Architektur der Kunst Halle spiegeln.
Der mittlere Ausstellungsraum ist mit einer Radioantenne bestückt, die sowohl als Skulptur aber auch als Übertragungsmedium einer original gesendeten Radiosendung über die Ausstellung von Loris Gréaud bei France Culture («Tout arrive» vom 22. Februar 2008) fungiert. Bei dieser Sendung äusserten sich verschiedene prominente KritikerInnen sowohl positiv als auch negativ über «Cellar Door». Zu hören ist dennoch nichts, da der knapp 30-minütige Radiobeitrag von taub-stummen Menschen in die Gebärdensprache übersetzt wurde. Hier findet eine Aneignung der Kunstkritik durch den Künstler statt, indem er die Stimmen der KritikerInnen zum Schweigen bringt und ihnen ein Auditorium verweigert. Gleichfalls wird auch der Besucher der Ausstellung aufgefordert sich seine eigene Kritik zu artikulieren.
Betritt der Besucher den letzten Ausstellungsraum, findet er sich mit einem beinahe karnevalesken Szenario konfrontiert. Dabei wird der Besucher hier in einem Konfettiregen spazieren gehen können, der von im Raum stehenden Konfettikanonen in die Luft geschossen wird. Ab und an ertönen diese Kanonen wieder und erinnern an das Ereignis der Ausstellungseröffnung, an der Zwillinge sich gegenseitig mit Konfetti einnebelten. Das ‚Kanonenfutter’ besteht aus der ganzen Vielzahl an Presseartikeln, die Gréauds Ausstellung im Palais de Tokyo und im ICA kommentiert haben. Spätestens hier wir es klar, dass Gréaud in St. Gallen auf die vohergehenden Projekte zurückgreift, nicht um sich über die Reaktionen, Polemiken und Diskussionen über «Cellar Door» zu mokieren, sondern um ein selbstreferenzielles System aufzubauen, in dem auch institutionelle Kritik erlaubt und eingebaut wird.
«Cellar Door – Never Shies Away from Adopting Bootleg Versions of itself into its Family» wird unterstützt von Culturesfrance und Elektro-Tanner AG, St. Gallen.