Die Kunst Halle Sankt Gallen präsentiert die erste Einzelausstellung der Mexikanerin Mariana Castillo Deball (*1975) in der Schweiz. Parallel dazu zeigen wir ein Projekt des Schweizers Jürg Lehni (*1978) und des Engländers Alex Rich (*1975). Wir freuen uns, das neue Jahr mit dieser Doppelausstellung beginnen zu können, in der die Rolle von Wissenschaft und Technologie auf unterschiedliche Art und Weise hinterfragt werden. In der prozessorientieren Ausstellungen werden nicht nur die beteiligten Künstler die wichtigsten Akteure sein, sondern auch weitere Persönlichkeiten für verschiedene Interventionen zu Gast sein. Ausserdem wird das Publikum selbst mit den Exponaten interagieren können.
Mariana Castillo Deball kartiert mit ihren Arbeiten die Handlungs- und Erinnerungsräume und Objektwelten des Menschen, welche immer einen ganz konkreten historischen und kulturellen Kontext vorweisen. Für ihre Recherche sucht die Künstlerin Institutionen der Sammlung, Ordnung, Katalogisierung und (Re-)Präsentation kultureller Güter auf, wie zum Beispiel Bibliotheken, Museen, Archive, die eine symbolische Ordnung der Welt repräsentieren. So entstehen nach der Phase der Informationssammlung und Selektion oft räumlich bezogene Installationen, Objekte, Fotografien, Audio- und Video-Arbeiten, die eine fiktionale Rahmenhandlung vorweisen.
Castillo Deball verwendet bewusst wissenschaftliche Methoden wie das Sammeln, Sichten und Selektieren, aber auch das theoretische Schreiben. Hierfür findet sie eine mediale Übersetzung und überprüft dabei kritisch die Konventionen und Standards der musealen Präsentation sowie des Archivwesens. Thematisch reicht das Spektrum der visuellen und narrativen Untersuchungen in verschiedenste Felder wie Archäologie, Anarchismus, Ethnologie, Musealisierung, Präsentationskonventionen in Museen, Philosophie und Technikgeschichte.
Neben dieser Herangehensweise zeigt die Künstlerin ein besonderes Interesse an der Kollaboration mit anderen Kulturproduzenten. Dabei führt sie das Ergebnis in Form von performativen Events, Buchprojekten oder Installationen zusammen. In den letzten Jahren beruht Castillo Deballs Arbeitsweise auf einem kaleidoskopischen Zugang zur Sprache: verschiedene Disziplinen und Arten, die Welt zu beschreiben, können aufeinanderprallen, und generieren dabei eine polyphone Stimme.
Ausgehend von der Idee des Kaleidoskops hat Castillo Deball für die Kunst Halle Sankt Gallen ein Projekt entwickelt, in dem sie ihr zentrales Thema der Archivierung - in unserer informationsüberfluteten Welt von grösster Aktualität - ortsspezifisch für die Gallusstadt künstlerisch umsetzt. Bei der Arbeit mit Archiven geht es der Künstlerin darum, deren Ordnung zu verändern, auszulöschen oder umzukehren, um ihnen so eine neue Leseart zu geben. Sie möchte in solch geordneten Räumen den Beweis erbringen, dass wir keinen Sinn in der Welt finden, ohne hemmungslos und verspielt zu sein. In der Ausstellung – wie auch generell in ihrer Praxis – besteht stets eine Spannung zwischen Ordnung und Zufall, insbesondere wenn diese zusammenwirken.
«Kaleidoscopic Eye» verbindet wichtige Orte und die Geschichte von St. Gallen: das enzyklopedische Materialarchiv des Sitterwerks, die Textilgeschichte der Stadt und die Kunst Halle. Das Sitterwerk funktioniert sowohl als eine Art Datenbank von Materialien und Ordnungsmöglichkeiten für Dinge, wie auch als Ort des Experimentierens, des Recherchierens in der umfangreichen Bibliothek sowie der künstlerischen Produktion (Kunstgiesserei). Deball wird dort recherchieren und eine Intervention realisieren, die sowohl im Sittertal als auch in der Kunst Halle zu sehen sein wird. Dazu wird die Künstlerin einen neuen Film produzieren, der in der Art eines Kaleidoskops die mannigfaltigen Muster der St. Galler Stickerei-Tradition zelebriert. Dieser wird neben weiteren Werken, welche die Künstlerin in jüngster Zeit geschaffen hat, in der Kunst Halle zu sehen sein, wo ausserdem eine monumentale Installation entstehen wird, die als Ausstellungsarchitektur dient.
Ein Künstlerbuch mit Texten von Mariana Castillo Deball und Dario Gamboni, Professor für Kunstgeschichte der Universität Genf, begleitet die Ausstellung.
Speziellen Dank an Sitterwerk/Kunstgiesserei St. Gallen, Heeb Elektro AG Küsnacht, Speckert + Klein AG Zürich für die Zusammenarbeit.