Die Vorarlbergerin Maria Anwander (*1980) weiss die Wände der berühmtesten Museen der Welt so innig zu küssen, dass sie nicht nur ein Werk in Form einer illegalen Performance hinterlässt, sondern vor allem die Hierarchien in der Kunstwelt hinterfragt. Als konzeptuelle Künstlerin widmet sie einen Teil ihrer Recherche der sogenannten Institutionskritik, wobei ihr Interesse neben Kunststätten und ihren Rollen auch dem gesamten Kunstsystem, insbesondere den KünstlerInnen gilt. Dabei verblüffen Maria Anwanders Arbeiten durch Humor, Präzision und eine gewisse Gnadenlosigkeit.
Die BesucherInnen empfängt Maria Anwander mit den leuchtenden Lettern «Why Art Now» Untitled (Why Art Now), 2014. Welche Bedeutungsfacetten diese Frage beinhaltet und wer ihre Adressaten sein könnten, wird im Verlaufe des Ausstellungsnarrativs deutlich. In ihrer ersten Soloshow in der Schweiz wirft die in Berlin lebende Österreicherin etliche weitere Fragen auf und proklamiert mit provokanten Werkdispositiven und mit auf die Kunstgeschichte verweisenden Elementen bereits im Ausstellungstitel «einen gewissen Zustand der Ungewissheit».
Dass die Hinterfragung der Funktionsweisen von Institutionen einen Schwerpunkt im Schaffen der Künstlerin darstellt, zeigt das Werk Kunst Halle Sankt Gallen, 2014, mit dem Anwander direkt in den alltäglichen Betrieb eingreift: Das Büro mit den Mitarbeitenden ist während der gesamten Ausstellungsdauer in den ersten Ausstellungsraum transferiert. Dadurch macht die Künstlerin einerseits die sonst vom Publikum kaum wahrgenommene Arbeit sichtbar, die hinter einem Ausstellungsbetrieb steckt. Und andererseits fordert sie die Mitarbeitenden der Kunst Halle heraus, sich und ihre Rollen in der Kunstwelt zu hinterfragen. Im weiteren Sinne appropriiert Anwander damit die zum Kunstkanon zählende Arbeit Claire Copley Gallery (1974) von Michael Asher, der bereits in den 60er-Jahren mit massiven Eingriffen in die Funktionsweise von Ausstellungsräumen die Grundsteine der Institutionskritik gelegt hat. In der zitierten Arbeit entfernte er eine Trennwand zwischen dem Showroom der besagten Galerie in Los Angeles und deren Büroräumlichkeiten. Anwander ordnet ihre Appropriation Kunst Halle Sankt Gallen (2014) wörtlich dem an der Wand prangenden Werk Untitled (An Artist is an Artist is an Artist is a Female Artist), 2014 unter. Der Satz referenziert auf das Wortspiel A Rose is a rose is a rose is a rose (1922) der amerikanischen Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein und widerspiegelt auf ironische Weise den Anteil, den Frauen in der zeitgenössischen Kunst ausmachen. Die Tatsache, dass Anwander sich formal an die Schriftzüge von Lawrence Weiner anlehnt, verstärkt ihre Aussage zusätzlich.
Bei der Arbeit Fountain (After Sherrie Levine), 2012 handelt es sich ebenfalls um eine Appropriation. Sie bezieht sich auf ein Werk der amerikanischen Künstlerin Sherrie Levine von 1991, einen Bronzeguss des wegweisenden Readymade von Marcel Duchamp aus dem Jahr 1917. Anwander geht noch einen Schritt weiter, indem sie ein Urinal mit einem Titel versieht, der Duchamp, den Übervater der neusten Kunstgeschichte, als ursprünglichen Autor des Werks auslässt. Ähnlich ist Baldessari Without Balls, 2014 zu verstehen. Hier unterbindet Maria Anwander frech die Potenz einer grossen Figur der männerlastigen Kunstgeschichte, indem sie aus John Baldessaris Fotoserie Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line (Best of 36 attempts) von 1977 die roten Bälle entfernt.
Es wäre zu kurz gegriffen, Maria Anwander als feministische Künstlerin zu bezeichnen. Denn es geht um einen weiter gespannten Fragenkomplex als den rein geschlechtlichen. Sie hinterfragt länderspezifische Funktionsweisen von Institutionen und evoziert Reflexionen über das Verhältnis zwischen Geld, Macht und Kunstmarkt.
Das Video The Kiss (MoMA), 2010 dokumentiert, wie die Künstlerin eine Wand im Museum of Modern Art in New York küsst und im Anschluss verbotenerweise ein Schild mit der Werkbeschreibung befestigt, in der sie ihren Kuss als Schenkung an die Museumssammlung deklariert. Weitere Beispiele für Anwanders Interventionen in Institutionen sind My Most Favourite Art, 2004-2014 – eine Sammlung von Beschriftungen der Lieblingswerke der Künstlerin, die sie aus Museen und Ausstellungen entwendet hat – oder das Video The Contribution (LACMA), 2014, in dem Anwander zu sehen ist, wie sie ihren Namen einer am Eingang des Los Angeles County Museum of Art hängenden Liste prominenter Museumsförderer hinzufügt.
Maria Anwander fordert nicht nur die Institution und ihre Konventionen heraus, sondern gerne auch die Vorstellungskraft des Publikums. So sperrt sie den mittleren Ausstellungsraum und versieht ihn mit dem Hinweis, dass die dort präsentierten Kunstwerke unter Umständen nicht den ethischen Vorstellungen der Besucher entsprächen und er daher geschlossen bleibe (Untitled, 2014). Ähnliche Warnungen begegnen uns als AusstellungsbesucherInnen immer wieder und machen deutlich, dass gewisse Werke für den institutionellen Kunstbetrieb als zu provokant oder als an der Grenze der Legalität befindlich eingeschätzt werden. Durch den Hinweis wird dem Werk allerdings jegliche Kraft im Vorhinein geraubt und die individuelle Rezeption der Betrachtenden beeinflusst.
Der dritte Ausstellungsraum ist zugleich der intimste. In Portrait of A Proud Father Smiling, 2013-2014 stellt die Künstlerin die Asche ihres verstorbenen Vaters aus und die im Foyer eröffnete Frage «Why Art Now», findet ihre Fortführung in «And What For?» Untitled (And What For?), 2014. Hier wird klar, dass die Frage raffiniert an die verschiedensten Adressaten gestellt ist und im Laufe der Ausstellung von einer allgemeinen öffentlichen zu einer sehr privaten invertiert wird. Im Vordergrund stehen nicht mehr die Institutionen oder die BesucherInnen. Die Frage richtet sich an Kunstschaffende und an Maria Anwander selbst. Was heisst es heute, KünstlerIn zu sein und welchen Mechanismen muss man sich fügen? Kann die Motivation eine marginalere sein als die Orientierung an der Kunstgeschichte? Reicht es also, «nur» den eigenen Vater zu beeindrucken?
* In Zusammenarbeit mit Ruben Aubrecht
Die Ausstellung wird unterstützt durch das Land Vorarlberg, das Bundeskanzleramt Österreich und videocompany.ch.
Eröffnung: Fr, 25. Juli, 18 Uhr
Kunst-Häppchen: Mi, 13. August, 12.30 Uhr
Führungen: Di, 19. August, 18 Uhr; So, 5. Oktober, 15 Uhr
Einführungsabend Lehrpersonen: Di, 19. August, 18 Uhr
Malnachmittag: Mi, 27. August, 14 Uhr
Museumsnacht: Sa, 6. September, ab 18 Uhr
Kunst über Mittag: Do, 11. September, 12 Uhr
Familienworkshop: So, 21. September, 14 Uhr
Maria Anwander (geb. 1980 in Bregenz, AT; lebt in Berlin) studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und Bildende Kunst an der Akademie der Künste in Wien. Einzelausstellungen (Auswahl): Karlin Studios, Prag, CZ *; Arratia Beer, Berlin, DE; Steve Turner Contemporary, Los Angeles (2014); Luis Adelantado, Valencia, ES; Galerie Hollenstein, Lustenau, AT * (2013); AC Institute, New York (2012); ORF Funkhaus Dornbirn, AT; MUSA - Startgalerie, Wien * (2011). Gruppenausstellungen (Auswahl): Insitu, Berlin; Galeria Miejska Arsenał, Poznań, PL; Matadero Madrid - Center for Contemporary Art, ES; Darmstädter Sezession, Darmstadt, DE; Kunstmuseum Liechtenstein; KEX - Kunsthalle Exnergasse, Wien (2013); Museo de Arte Carrillo Gil, Mexico D. F.; Grimmuseum, Berlin; Künstlerhaus im Palais Thurn und Taxis, Bregenz, AT (2012); Künstlerhaus Wien; 4. Moskau Biennale für Zeitgenössische Kunst (2011).