«For Real!» setzt sich mit der Frage der Wirksamkeit von Kunst auf die reelle Welt auseinander und will eine heterogene Vielzahl von KünstlerInnen, AktivistInnen, VisionärInnen, ArbeiterInnen und anderen Interessierten für eine Zusammenarbeit begeistern und involvieren. «For Real!» ist eine unkonventionelle Ausstellung, da hier nicht die Idee von Kunst als Objekt oder Manufakt im Zentrum steht. Das Projekt will wirkliche Erfahrungen bieten, Formate mischen (Interventionen, Kunstwerke, Gerüchte) und eine 'Community' bilden, die sich einer kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Phänomenen und dem städtischen Kontext verschreibt. Gleichzeitig sollen die Interaktion zwischen Akteuren und Publikum, sowie Multimedialität und Interdisziplinarität gefördert werden. Damit wollen wir uns nicht nur einen Blick auf die Komplexität der aktuellen Welt und Gesellschaft erlauben, sondern einen Raum für künstlerische Experimente öffnen.
«For Real!» ist von Norma Jeane und Giovanni Carmine (in Zusammenarbeit mit Mai Abu ElDahab) initiiert worden und versteht sich als 'open source' und evolutionsfähiges Projekt. Seine Umsetzung wird nicht nur in St. Gallen stattfinden; dort ist nur der erste Impuls geboren (eine nächste Station des Projektes ist im Frühling 2011 bei Objectif Exhibitions in Antwerpen vorgesehen). Bereits die Methodologie der Projektentwicklung war offen konzipiert, zum Beispiel durch eine Plattform für Online-Kollaboration, auf der jeder Mitwirkende sich über die Entwicklungsstadien der Projekte informieren konnte und auf der rege Diskussionen geführt wurden. Während der Vorbereitungsphase hat sich so eine starke Gemeinschaft gebildet, die die Umsetzung einer radikalen Ausstellungsidee erlaubt.
In St. Gallen werden im Rahmen von «For Real!» verschiedene Projekte und Veranstaltungen sowohl in den Ausstellungsräumlichkeiten der Kunst Halle Sankt Gallen als auch im öffentlichen Raum stattfinden. Die Kunst Halle Sankt Gallen freut sich, mit «For Real!» ihrem Publikum eine 'Kunsterfahrung der anderen Art' bereiten zu können und den Ausstellungsraum als Ort des offenen Experimentierens zu definieren.
Überblick der Daten und Orte aller Aktionen und Veranstaltungen
Biografien aller beteiligter Künstler
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Norma Jeane, «Der Schlafraum»
Ort: 'Graben-Pärkli', Ecke Oberer Graben/Poststrasse, St. Gallen
Freitag, 19. November, 12 Uhr, bis Montag, 22. November, 12 Uhr
(durchgehend geöffnet!)
Ein Rettungszelt im Zentrum der Stadt lädt Passanten ein, sich im öffentlichen Raum hinzulegen und ein Schlaf- bzw. Erholungserlebnis mit anderen Menschen zu teilen. «Der Schlafraum» versteht sich als soziales Experiment und erlaubt eine intime Erfahrung, die neue Perspektiven in der Beziehung zwischen einem auf privatem Eigentum basierenden Lebensstil und der allgemeinen menschlichen Lage zeigt.
Anleitung und Reglement für den Schlafraum:
Diese Einrichtung dient dazu, Passanten einen warmen und angenehmen Unterschlupf zu bieten – für ein Nickerchen, eine Übernachtung oder auch einfach, um sich in ruhiger Umgebung zu entspannen.
Der Schlafraum ist ein gemeinsam genutzter Raum. Im beheizten Zelt stehen zehn Betten mit Decken und Kissen zur Verfügung. Auf Anfrage erhalten Sie Ohrstöpsel und Schlafmasken für eine noch tiefere Entspannung.
Beim Empfang können Sie Ihre Tasche in einem Schliessfach deponieren. Sie können ausserdem nach einem Weckdienst fragen, damit Sie Ihren Schlaf geniessen können – ohne sich darüber zu sorgen, rechtzeitig wieder aufzuwachen.
Im Schlafraum muss zu jeder Zeit eine ruhige Atmosphäre herrschen, damit jeder Gast sein Schlaf- oder Entspannungserlebnis bestmöglich geniessen kann.
Mobiltelefone oder andere Geräte, die direkt oder indirekt Lärm verursachen, sind im Schlafraum nicht erlaubt. Musik oder Radiosendungen dürfen leise mit Kopfhörern gehört werden.
Essen und Trinken ist im Schlafraum nicht erlaubt. Beim Empfang können Sie vor oder nach Ihrem Nickerchen nach einem Glas Mineralwasser fragen.
Gäste müssen sich respektvoll verhalten und das Wohlbefinden der Anderen als genauso wichtig erachten wie ihr eigenes.
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San Keller, «Exil-Parlament» Ort: Kunst Halle Sankt Gallen
24. November bis 7. Dezember 2010:
Von den Exil-Parlamentariern bearbeitete Traktanden der 1. Sitzung vom 23. November einsehbar.
Dienstag, 7. Dezember 2010, 16-19 Uhr:
2. Sitzung des Exil-Parlaments
Dienstag, 18. Januar 2011, 16-19 Uhr:
3. Sitzung des Exil-Parlaments, anschliessend Präsidentenfeier
Das von San Keller einberufene «Exil-Parlament» setzt sich aus 63 Künstlerinnen und Künstlern zusammen und befasst sich in drei Sitzungen mit den Traktanden, die im St. Galler Stadtparlament zeitgleich behandelt werden. Die hier getroffenen Entscheidungen werden durch die Presse öffentlich gemacht. Das Exil-Parlament ist nicht nur während der 2. und 3. Sitzung für Besucher geöffnet, sondern auch zu den regulären Öffnungszeiten der Kunst Halle als Installation zugänglich.
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Raphaël Julliard, «Simulation»
Projekt nur auf Einladung
In seinem Beitrag «Simulation», das sich an das allgemeine Publikum einer Kunstinstitution richtet, setzt sich Raphaël Julliard konzeptuell mit dem Thema der Gruppenbildung auseinander. In Anlehnung an die Fibonacci-Folge (1 1 2 3 5 8 13 21 34 55 89 144 ... ) veranlasst er eine theoretisch endlose Reihe von Treffen mit ständig wachsender Teilnehmerzahl. Um die Gruppen zu formen lädt jeder Gast wiederum zwei Personen für spätere Treffen ein. Der Inhalt der Treffen ist jeweils offen und kann von den Beteiligten frei bestimmt werden.
Raphaël Julliard, «Painting»
Ort: Kunst Halle Sankt Gallen
20. November 2010 bis 23. Januar 2011
Julliards zweites Projekt ist ein Action-Painting-Workshop, an dem folgende «For Real!»-Künstler - von denen sich keiner sich als Maler bezeichnet - teilgenommen haben: San Keller, Fouad Bouchoucha, Norma Jeane und Raphaël Julliard. Das Resultat dieses Workshops ist nun in Form einer Malereiausstellung in der Kunst Halle für das Publikum zu geniessen. ‚Action Painting’ ist eine der populärsten Formen der Kunst der Nachkriegzeit und charakterisiert durch eine quasi physische Auseinandersetzung zwischen Farbe, Leinwand und Autor. Juillard reagiert mit seinem Projekt – nicht ohne Ironie – direkt auf das vorgeschlagene Format der Ausstellung und deren inhaltliche Fragestellung. Mittels abstrakter Kunst zwingt er das Publikum und die beteiligten Künstler, sich mit Fragen der Autorschaft und der Wirksamkeit des Kunstwerkes als Objekt in der reellen Welt auseinanderzusetzen.
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Lenka Clayton & Michael Crowe Ort und Zeit: irgendwo und irgendwann in St.Gallen
Da es sich bei diesem Projekt um eine überraschende Intervention handelt, darf nichts darüber verraten werden... Nur soviel: es wird eine poetische Aktion sein, für die Lenka Clayton und Michael Crowe einen bestimmten Teil der Stadt ins Visier nehmen.
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Tim Etchells, «Hour of Noise» Versammlungsorte: Kunst Halle Sankt Gallen; Palace; Stadtpark (Ecke Museumsstrasse/Parkstrasse)
Samstag, 22. Januar 2011, 16 bis 17 Uhr
Der Künstler und Theatermacher Tim Etchells lädt alle Bewohnerinnen und Besucher St. Gallens dazu ein, gemeinsam eine Stunde lang Lärm in den Strassen der Stadt zu erzeugen. Alle sind herzlich willkommen, sich an drei bestimmten Orten zu versammeln, ausgerüstet mit Instrumenten, Pfeifen, Sirenen, Rasseln, Töpfen, Pfannen und anderen Objekten, mit denen Lärm produziert werden kann. Von den Versammlungsorten aus ziehen die Gruppen dann jeweils Richtung Stadtzentrum, wo sie aufeinandertreffen und bis zum Ablauf der Stunde gemeinsam weiterlärmen werden.
Mit «Hour of Noise» möchte Etchells eine temporäre Transformation der Stadt durch die Beteiligung ihrer Bewohner bewirken; eine Transformation, die ausschliesslich durch Lärm erzeugt wird. «Hour of Noise» nimmt natürlich Bezug auf die fröhliche Unbekümmertheit der Fasnacht, den Wunsch nach Veränderung bei politischen Protesten und die Euphorie bei Sport-Veranstaltungen, doch verzichtet Etchells auf diese ‚üblichen’ Motivationen und Gründe für Versammlungen. Es handelt sich um eine Intervention im öffentlichen Raum, die durch den ausschliesslich zum Vergnügen produzierten Lärm einen Bruch im Leben der Stadt generiert.
Die kollektive Performance stellt eine spielerische Störung der stillschweigenden täglichen Übereinkunft dar, über das Leben in einem miteinander genutzten Raum – welche unter anderem darin besteht, keinen 'unnötigen' Lärm zu verursachen. In diesem Sinne zielt die Arbeit darauf, die Aufmerksamkeit auf die Stille zu richten, in welcher der Grossteil des Tages normalerweise verläuft.
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Fouad Bouchoucha, «Goodbye Horses»
Wurde abgesagt!!
Hier wird eine Subkultur des Exzesses in den Fokus gerückt. Für sein Projekt «Goodbye Horses» organisiert Bouchoucha ein Treffen getunter Autos, an dem er auch teilnimmt und seine Bugatti Veyron präsentiert.
Diesen Rennwagen – vom Hersteller als schnellstes Luxusfahrzeug der Welt deklariert – wird Fouad Bouchoucha mit einem Objekt 'frisieren', das zwar theoretisch das Potential der Bugatti erhöht, sie aber zugleich unbenutzbar macht: In der Theorie optimiert der Aufsatz die Leistung des Autos, allerdings macht er es unfahrbar, da die Prothese die Sicht nach Aussen verunmöglicht. Das Aufmotzen wird somit bis zu einer absurden Grenze gebracht und somit zu einem abstrakten Akt inmitten eines reellen Autotreffs.
Dieses Ereignis ist Performance und künstlerische Darstellung zugleich. Indem Fouad Bouchoucha eine Luxusmarke und die Mitglieder einer Subkultur involviert, möchte er den Ausstellungskonventionen entgehen und gleichzeitig seine Kunst in einem reellen Kontext einer Prüfung unterziehen.
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«For Real!» entsteht im Rahmen von Circular Facts, einer Zusammenarbeit mehrerer Institutionen, die durch das Kulturprogramm der Europäischen Union unterstützt wird.
«For Real!» wird ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von: Securitas AG, St. Gallen; Thönig AG Bettenhaus, St. Gallen; Fürstenlandhaus AG, Oberbüren SG, Romuald Brühwiler Baugeschäft, Oberbüren SG; Fleury-Art Künstlerbedarf, Basel; Schweizerisches Rotes Kreuz; Sign + Shine Beschriftungen, Schaffhausen.